Der Stil des Koran

nuriye

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Da sich der Koran mit allen Fragen von theologischem Wert befasst und in Bezug auf die unerschöpfliche Vielfalt seiner Inhalte alle schriftlichen Aufzeichnungen aus der Zeit vor und nach der Offenbarung des Koran in den Schatten stellt, sind Ansatz, Präsentation und Lösung einzigartig. Anstatt ein Thema systematisch zu behandeln, wie es Theologen und apostolische Autoren taten, gibt der Koran uns deutlich zu verstehen, dass er seine eigene vielgestaltige Methode hat - den Tasrif. Er stellt seine Vielseitigkeit unter Beweis, wechselt zwischen ganz unterschiedlichen Themen hin und her oder kehrt dann zum ursprünglichen Thema zurück und wiederholt wohl überlegt und ganz bewusst ein Thema in einzigartiger rhythmischer und rezitativer Form, um uns Verstehen, Lernen und Erinnern zu erleichtern:
Schau, wie mannigfach Wir die Zeichen dartun, auf dass sie (sie) verstehen mögen.
(6:65)
Der Koran enthüllt uns die Ordnung des Universums. Weil sich uns nahezu alle Typen oder Varianten existierender Dinge nebeneinander oder miteinander vermischt darstellen, präsentiert uns der Koran die unterschiedlichen Dinge, indem er sie durch einen speziellen Rhythmus miteinander verknüpft, um uns so auf die Zeichen der Einheit Gottes hinzuweisen. Dabei nimmt er in Kauf, dass diese Art Stil einige seiner Gegner dazu veranlassen wird, an seiner göttlichen Urheberschaft zu zweifeln. (6:106) Er verdeutlicht auch, warum er dies tut: um den Verstand des Menschen zu ermuntern, über die Einheit in der Vielfalt und die Harmonie in der Verschiedenheit nachzudenken. Jede einzelne seiner Suren behandelt auf unterschiedliche Art und Weise eine Vielzahl von Themen. Diese Tatsache zeichnet ganz entscheidend für seine einzigartige Schönheit und unvergleichliche Beredsamkeit verantwortlich. Ein aufmerksamer Rezitator oder ein intelligenter Zuhörer kann sich an solchen rhythmischen Umbrüchen so sehr erfreuen, dass der Koran selbst erklärt:
Allah hat die schönste Botschaft, ein Buch, herabgesandt, eine sich gleichartig wiederholende Schrift, vor der denen, die ihren Herrn fürchten, die Haut erschauert; dann erweicht sich ihre Haut und ihr Herz zum Gedenken Allahs. Das ist die Führung Allahs; Er leitet damit recht, wen Er will. Und der, den Allah zum Irrenden erklärt, wird keinen Führer haben.
(39:23)
Die Verse und Suren des Koran sind nicht chronologisch geordnet. Bestimmten Verse, die zusammen offenbart wurden, werden andere vorausgeschickt oder nachgestellt. Einige Suren und Verse sind lang, andere wiederum kurz. Diese Anordnung ist ein Aspekt seiner Einzigartigkeit und gleichzeitig einer der wichtigsten Gründe dafür, dass viele Orientalisten und ihre muslimischen Nachahmer ihn kritisieren.
Der Koran stellt die Ordnung des Universums zur Schau. Da dessen Grundbestandteile sowohl in einem Ganzes-Teil-Verhältnis als auch in einem holistisch-partiellen (oder univeralistisch-individuellen)Verhältnis zueinander stehen, trifft dies auch auf den Koran zu. Anders ausgedrückt: Ein Körper ist ein Ganzes, das aus einzelnen Teilen besteht (z.B. Kopf, Arme, Beine, Organe). Obwohl diese Teile selbst eigene Einheiten bilden, kann keines von ihnen das übergeordnete Ganze für sich allein repräsentieren, weil sich dieses in keinem der Teile vollständig wieder findet. Die Menschheit und alle anderen Spezies sind jedoch holistisch oder universell; denn jede Spezies setzt sich aus ihren Mitgliedern zusammen, von denen jedes einzelne alle Merkmale der Spezies in sich vereint und dadurch die Spezies repräsentiert. Jeder Mensch ist in seiner Struktur ein exaktes Muster der Menschheit.
Auch jeder einzelne Koranvers ist für sich selbst ein Ganzes und verfügt über eine unabhängige Existenz. Er könnte an irgendeine Stelle platziert werden, ohne Aufbau und Bedeutung des Koran zu verletzen. Darüber hinaus stehen die Koranverse in einem ganz bestimmten Verhältnis zueinander. Said Nursi schreibt hierzu:
Der Stil des Koran ist so unglaublich umfassend, dass eine einzelne Sure den ganzen Ozean des Koran enthalten kann, der seinerseits das ganze Universum in sich birgt. Ein einzelner Vers ist wiederum in der Lage, die Schatzkammer jener Sure zu umspannen. Es scheint fast so, als sei fast jeder Vers wie eine kleine Sure und fast jede Sure wie ein kleiner Koran. Darüber hinaus sind sich spirituelle Menschen einig, dass der gesamte Koran in der Sure al-Fatiha und diese wiederum in der Basmala - Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen. - enthalten sind.3
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass dieser einzigartige Tasrif-Stil widersprüchliche Verse hervorbringt. Dies ist aber nicht der Fall, denn der Koran ähnelt einem Organismus, dessen einzelne Teile alle miteinander verbunden sind. Als Resultat dieser Ganzes-Teil-Anordnung und der holistisch-partiellen Beziehung zwischen den Versen ist ein korrektes Verständnis eines Verses in manchen Fällen von einem umfassenden Verständnis des ganzen Koran abhängig. Hierbei handelt es sich um ein weiteres einzigartiges Merkmal, um einen weiteren Aspekt seiner Vollkommenheit und um einen weiteren Beweis für seine göttliche Urheberschaft.
Dieses Charakteristikum ist für die Interpretation des Koran von größter Wichtigkeit, denn der Koran ist das schriftliche Gegenstück zu Universum und Menschheit. Der Koran, das Universum und die Menschheit sind außerdem drei 'Kopien' eines einzigen Buches. Die erste von ihnen umfasst das ‚offenbarte und niedergeschriebene Universum und die Menschheit'. Die zweite und dritte Kopie sind jeweils ein ‚erschaffener Koran'. Der Koran lehrt uns, wie die Menschheit und das Universum einzuschätzen sind. Vermeintliche Widersprüche unter den Versen lassen also auf Missverständnisse beim Leser schließen. Jemand, dessen Wesen mit dem Koran übereinstimmt, wird in ihm keinen Widerspruch entdecken, da es einfach keinen Widerspruch gibt. Wenn die Menschen den Koran jedoch im Lichte ihrer eigenen Welten sehen (die ja voller Widersprüche stecken), werden sie natürlich auch Widersprüche finden. Aus diesem Grunde sollten sich diejenigen, die sich näher mit dem Koran befassen, zunächst einmal selbst von allen Widersprüchen befreien.
 
Üst